Wer Skrupel hat, ist selber schuld.

Wie die Ware Mensch über die Grenzen transportiert wird.

Von Marion Rissart.

Ob es verwerflich ist, Menschen statt Gemüse zu transportieren, ist immer eine Frage der Perspektive: Für die einen sind es Kriminelle, die sich an der Not dieser Menschen bereichern und dabei das dicke Geschäft wittern. Für die anderen dagegen bietet der Transport von menschlicher Ware eine gute Gelegenheit, Aktenkoffer voller Dollar zu verdienen. Ob sie Obst oder Menschen über die Grenze kutschieren, ist  für sie einerlei. Sie bieten gegen harte Währung einen Service. Und Angebot und Nachfrage regeln bekanntlich den Preis

Das Buch „Bekenntnisse eines Menschenhändlers“ räumt gründlich auf mit der Vorstellung, dass Schleuser als ein Ein-Mann Unternehmen fungieren und kleine Fische sind. Die Autoren Andrea di Nicola und Gianpaolo Musumeci wissen, wovon sie sprechen. Lange haben sie die Machenschaften der Menschenhändler wie unter einem Brennglas studiert. Als Paradebeispiel dafür gilt der Aufstieg des Kroaten Josip Loncaric .

Seine Karriere  begann Loncaric als LKW-Fahrer. Jahrelang transportierte er Obst und Gemüse durch Kroatien, Slowenien, Italien und Ungarn. Irgendwann begann er, Lebensmittel durch menschliche Fracht zu ersetzen. Die Ortskenntnisse hatte er sich zuvor auf seinen langen Touren durch die oben genannten Länder angeeignet. Jetzt erwiesen sich dabei  nützlich, Menschen über die Grenze zu befördern. Menschen, die bereit waren, viel Geld dafür zu bezahlen.

Die Autoren zeichnen das Bild eines Mannes, der von einem Ein-Mann Unternehmen zum großen Boss aufstieg. Einer, der eine Organisation dadurch aufbaute, indem er Vertrauensleute auf Schlüsselpositionen setzte. Seine Statthalter und „Area-Manager“ delegieren Aufgaben an weitere Handlanger im System. Denn zum Menschenschmuggel bedarf es neben Transportmittel wie LKW´s und Schiffe auch Waffen, Telefone mit ausländischen SIM-Karten, sichere Unterkünfte und nicht zuletzt gefälschte Papiere. Alles Dinge, für die ein großer personeller und logistischer Aufwand benötigt wird. Leute für diese Aufgaben anzuheuern, ist ein Kinderspiel. Es gibt genug davon, die sich in ihrer tristen, verödeten Heimat gerne Dollars  verdienen, um damit ihre Familien zu ernähren zu können.

Di Nicola und Musumeci interviewten Fahrer, Skipper, Organisatoren und Menschen, die Zoll- und Polizeibeamte schmieren. Sie sprachen mit Agenten, die heimatnah als Reiseveranstalter fungieren. Dort wird den Flüchtlingswilligen ihre Flucht (oder ihre Reise, je nach Blickwinkel) als Komplettpaket verkauft. Die Agenten verweisen auf ihre Preisliste, die je nach Wunschland und Art des Transfers die Kosten für die Verzweifelten in die Höhe treibt.

Bewusst nüchtern und emotionslos schildern die beiden das Geschäft mit der Ware Mensch und wie sich Schleuser in das kriminelle Netzwerk verwickeln. Wo man deshalb auf Menschenschmuggel umsteigt,  weil der finanzielle Anreiz einfach so verlockend ist.

Wer dabei Skrupel hat, ist selber schuld. Hier geht es in erster Linie darum, beim Milliardendeal ein Stück vom Kuchen zu kriegen. Und jeder bekommt davon etwas ab. Den größten Batzen stecken sich die die großen Bosse wie Loncaric oder des Türken Muammar Kücük ein. Dann folgen, je nach Hierarchie,  Manager, Skipper, diverse Handlanger und ihre Familien sowie kleine Spediteure, die ihre Transporter für menschliche Fracht verleihen.

Das Buch „Bekenntnisse eines Menschenhändlers. Das Milliardengeschäft mit den Flüchtlingen“ von Andrea Di Nicola/Giampaolo Musumeci erschien 2015 im Kunstmann Verlag, Bonn. ISBN 978-3-95614-029-7, 18, 95 €